Graphic and photographic work 2010-2014, published on the occasion of an exhibition at Schloss Schwetzingen, Germany, September 2014
https://www.lensculture.com/books/15303-shapes-colors-structures
Mentioned in the 1X-Magazine. 1X is the world’s biggest curated photo gallery on the web.
https://1x.com/magazine/permalink/5324
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shapes – colors – structures (pdf-file)
The foreword (in German) by Adrienne Braun
Das Vorwort zum Buch “shapes – colors – structures”

Lustvolles Spiel mit der Wahrnehmung
Zu den Fotoarbeiten von Hans-Martin Dölz
Es gibt Künstler, die die Betrachter irritieren oder gar schockieren wollen, Grenzen überwinden und Sehgewohnheiten stören. Die Fotografien von Hans-Martin Dölz fordern dagegen das logische Denken heraus. Sie kitzeln den Spieltrieb, machen unmittelbar Lust, zu zählen und zu kombinieren, Proportionen und Relationen aufzuspüren und Systematiken zu entdecken. Wie verhalten sich die Farben zueinander? Warum steht das Rot in Nachbarschaft zum Blau, das Grün neben dem Orange? Der Geist wird munter und die Neugierde geweckt – wie Rätsel wollen diese Fotografien entschlüsselt sein.
Hans-Martin Dölz lässt für sich arbeiten. Er ist von Haus aus Mathematiker und in der Welt der Computer zuhause. Für seine Fotoarbeiten streift er zwar selbst mit der Kamera durch die Welt und spürt im Chaos des Alltags Raster und Strukturen auf, parallel verlaufende Linien und korrespondierende Formen. Die eigentliche künstlerische Arbeit delegiert Dölz aber an den Computer. Seine Strategie hat er der Mathematik entlehnt. Über die Gestaltung der Fotoarbeiten entscheidet ein Algorithmus. Hans-Martin Dölz legt die Parameter fest, den Rest aber erledigt der Computer.
Ein Widerspruch in sich. Denn die Mathematik besitzt doch klar definierte Regeln und agiert jenseits des Subjektiven. Die Kunst dagegen will per se vieldeutig sein, will Grenzen überwinden und neue Denk- und Seherfahrungen ermöglichen, in unbekanntes Terrain vordringen und ästhetisches Neuland betreten.
Hans-Martin Dölz überwindet den Gegensatz zwischen strenger Wissenschaft und freier Kunst, zwischen Objektivem und Subjektivem und auch zwischen Zufall und Kalkül. Sein Handwerkszeug ist nicht mehr Leinwand und Farbe, sondern sein Medium ist der Computer. Er definiert zwar die Regeln der künstlerischen Produktion, überlässt die künstlerische Ausgestaltung und Transformation der Motive aber der Maschine. Trotzdem verteidigt Dölz dabei seine Rolle als schöpferisches Subjekt, weil er es ist, der – seinem eigenen ästhetischen Empfinden folgend – letztlich die Auswahl trifft aus den vom Computer angebotenen Optionen.
Was aber geschieht mit den fotografischen Vorlagen? Manchmal ahnt man noch die Motive, die den mathematischen Experimenten zugrunde lagen: etwa die Aschenbahn auf einem Sportplatz mit ihren gleichmäßig geschwungenen Markierungen. Mal ragen die schlanken Baumstämme eines Waldes empor, mal erzeugen die präzise montierten Flöten einer Orgel ein Flimmern und Flirren. Dann wieder erkennt man saftige Blüten, die geheimnisvoll deformiert wurden oder auf deren Blättern noch frischer Tau liegt.
Doch die Motive sind von jedem inhaltlichen Ballast befreit. Sie wollen auf nichts mehr verweisen und keinen Inhalt transportieren, sondern Hans-Martin Dölz interessiert an ihnen allein ihre grafische Gestalt, ihre Farben und die ihnen inhärente Systematik – ob Linienspiel, Kontur oder Flächenkomposition.
Häufig begnügt sich Dölz mit schlichten geometrischen Formen. Leitmotivisch zieht sich der Kreis durch seine Arbeiten. Punkte werden wie Perlen auf der Schnur gereiht, zu gleichförmigen Mustern verbunden oder über der Fläche verteilt. Der Computer füllt die Kreise mit Farbe – und diese Verteilung der Töne bringt Dynamik in die starren Systeme. Auch wenn die Maschine nur nach ihren festen Gesetzen handelt und sich nicht um die Wirkung der Farben schert, reagieren diese aufeinander, es entstehen Nachbarschaften, Kontraste und Spannungen. Hier dominieren Farbgruppen, dort wirkt ein einsames Orange wie ein Kontrapunkt. So werden die präzisen Strukturen lebendig.
Zu den Kreisen und Linien gesellen sich gelegentlich auch Quadrate, es werden die Relationen zwischen Flächen und Farben untersucht und deren spannungsreiche Verteilung auf der Fläche erprobt. Gerade hier rücken die Fotoarbeiten von Hans-Martin Dölz in die Nähe der Farbfeldmalerei sowie der Konkreten Kunst. Denn auch wenn die Computerästhetik unübersehbar ist, stehen die Fotoarbeiten der Malerei nahe: Sie evozieren den Eindruck, als sei die Farbmasse mit breitem Pinsel über die Fläche gezogen worden oder als habe man sie Schicht für Schicht übereinander gelegt.
Diese Nähe zur Malerei ist der Grund dafür, dass die Fotografien von Hans-Martin Dölz jenseits der Logik oft auch hohe Sinnlichkeit besitzen und mitunter sogar poetische Schönheit entwickeln wie bei „8“, einer Reihe von Formen, die an zerknülltes Papier erinnern und leicht und schwebend wirken. Mal leuchten die Farben magisch und unwirklich, mal wirken die schlichten Formen wie kosmische Erscheinungen.
Manchmal aber kann es auch sein, dass der Algorithmus seine Launen hat und ganz auf Farben verzichtet – und die Kreise plötzlich nackt und leer bleiben. Aber auch hier beginnt der Betrachter sofort, ein zugrunde liegendes System aufzuspüren, so, wie das Auge auch bei den anderen Arbeiten unmittelbar anfängt, die Relationen der Farben und Formen zu untersuchen und zu prüfen, ob die Farbschattierungen bestimmten Regeln folgen. Wie im Intelligenztest forscht das Gehirn sofort nach Regeln und Regelverstößen. 25 Kreise, von denen fünf in der Diagonale farbig sind – schon beginnt der Geist, weitere Varianten durchzuspielen und andere Möglichkeiten zu erproben.
Das ist ein lustvolles Kombinieren – und doch mehr als das. Denn die Werke von Hans-Martin Dölz konfrontieren den Betrachter stets auch mit sich selbst als einem analytischen Wesen, das die Realität zu begreifen versucht und dazu stets Kategorien formuliert, formulieren muss. Denn diese verbindlichen Strukturen sind es letztlich, die uns Menschen Halt geben und Orientierung ermöglichen. Nur durch das Erkennen von Gesetzmäßigkeiten können wir überleben. So lenkt Hans-Martin Dölz letztlich über die spielerische Herausforderung die Aufmerksamkeit darauf, wie Wahrnehmung funktioniert.
ADRIENNE BRAUN, Juli 2014
English text (translated from German):
There are artists who want to irritate or even shock the viewer, overcome boundaries and disrupt viewing habits. The graphic works by Hans-Martin Dölz, on the other hand, challenge logical thinking. They tickle the instinct to play, make you want to count and combine, track down proportions and relationships and discover systematics. How do the colors relate to each other? Why is the red next to the blue, the green next to the orange? The mind perks up and curiosity aroused – these works want to be deciphered like riddles.
Hans-Martin Dölz lets work. As a mathematician he is familiar with the world of computers. For his photographic work he roams the world with his camera and detects grids and structures, parallel lines and corresponding shapes in the chaos of everyday life. However, Dölz delegates the actual artistic work to the computer. He borrows his strategy from mathematics. An algorithm decides about the design of the photographic work. Hans-Martin Dölz sets the parameters, but the computer does the rest.
A contradiction in terms. Because mathematics has clearly defined rules and acts beyond the subjective. Art, on the other hand, wants to be ambiguous per se, wants to overcome boundaries and enable new thinking and seeing experiences, penetrate into unknown territory and break new aesthetic territory.
Hans-Martin Dölz overcomes the contrast between strict science and free art, between the objective and the subjective and also between chance and calculation. His tools are no longer canvas and paint, but his medium is the computer. Although it defines the rules of artistic production, it leaves the artistic design and transformation of the motifs to the machine. Nevertheless, Dölz defends his role as a creative subject because it is he who – following his own aesthetic sensibility – ultimately makes the selection from the options offered by the computer.
But what happens to the photographic originals? Sometimes you can still guess the motifs on which the mathematical experiments were based: for example the cinder track on a sports field with its evenly curved markings. Sometimes the slender tree trunks of a forest tower up, sometimes the precisely mounted flutes of an organ create a flicker and shimmer. Then again you can see juicy flowers that have been mysteriously deformed or whose leaves still have fresh dew.
But the motifs are freed from any ballast in terms of content. They no longer want to refer to anything and do not want to convey any content, but Hans-Martin Dölz is only interested in their graphic design, their colors and their inherent systematics – be it the play of lines, contours or surface composition.
Dölz is often content with simple geometric shapes. As a leitmotif, the circle runs through his work. Dots are strung like pearls on the string, connected to form uniform patterns or distributed over the surface. The computer fills the circles with color – and this distribution of tones brings dynamism to the rigid systems. Even if the machine only acts according to its fixed laws and does not care about the effect of the colors, they react to one another, creating neighborhoods, contrasts and tensions. Here color groups dominate, there a lonely orange looks like a counterpoint. This is how the precise structures come to life.
The circles and lines are occasionally joined by squares, the relationships between surfaces and colors are examined and their tense distribution on the surface is tested. Here in particular, the photographic works by Hans-Martin Dölz come close to color field painting and Concrete Art. Because even if the computer aesthetics cannot be overlooked, the photographic works are close to painting: They evoke the impression as if the mass of paint had been drawn over the surface with a broad brush or as if it had been placed layer by layer on top of one another.
This closeness to painting is the reason why Hans-Martin Dölz’s photographs, beyond logic, often also have a high level of sensuality and sometimes even develop poetic beauty, as in “8”, a series of forms that are reminiscent of crumpled paper and are light and seem floating. Sometimes the colors shine magically and unreal, sometimes the simple shapes seem like cosmic phenomena.
Sometimes, however, it can also be that the algorithm has its whims and completely dispenses with colors – and the circles suddenly remain naked and empty. But here, too, the viewer immediately begins to track down an underlying system, just as the eye begins immediately with the other works to examine the relationships between colors and shapes and to check whether the shades of color follow certain rules. As in the intelligence test, the brain immediately searches for rules and rule violations. 25 circles, five of which are colored on the diagonal – the mind begins to play through further variants and to try out other possibilities.
This is a pleasurable combination – and yet more than that. Because the works of Hans-Martin Dölz always confront the viewer with himself as an analytical being who tries to understand reality and always formulates categories. After all, it is these binding structures that ultimately give us humans support and enable us to orient ourselves. We can only survive by recognizing laws. In the end, Hans-Martin Dölz uses the playful challenge to draw attention to how perception works.
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